Absolventinnen und Absolventen im Lehramt Informatik in Bayern
…20 Jahre nach Einführung des Schulfaches.
Eine große Herausforderung bei der Einführung eines verpflichtenden Schulfachs Informatik stellt nach wie vor das sogenannte Henne-Ei-Problem “Schulfach vs. Lehrkräfte” dar: Ohne qualifizierte Lehrkräfte ist ein Schulfach nur schwer realisierbar, ohne Schulfach lassen sich aber nur wenige Studierende für ein Lehramtsstudium Informatik gewinnen. Typischerweise wird das Problem fehlender qualifizierter Informatiklehrkräfte daher durch umfangreiche Weiterbildungsmaßnahmen adressiert. Wie aber entwickelt sich die Zahl der angehenden Informatiklehrkräfte langfristig nach der Einführung des Schulfachs? Hierzu erlaubt der Fall Bayern aufgrund der vergleichsweise langen Tradition informatischer Bildung spannende Einblicke.
Im Folgenden findet sich ein Ausschnitt aus unserem INFOS23-Beitrag, in dem die Entwicklung der Absolvent:innen (erste und zweite Phase) im Lehramt Informatik in Bayern in den letzten 20 Jahren untersucht wurde. Die Ergebnisse zeigen, dass die Einführung des Pflichtfachs zu einem starken Anstieg der Absolvent:innenzahlen geführt hat. Allerdings hat nach wie vor die Mehrheit der Absolvent:innen die Lehrbefähigung für das Fach Informatik nachträglich im Rahmen eines stark verkürzten Erweiterungsstudiums erworben und auch 20 Jahre nach Einführung des Schulfaches bleiben Maßnahmen zur Gewinnung zusätzlicher Informatiklehrkräfte notwendig.
Weiterführende Informationen und Erfahrungen zur Nachqualifikation von Lehrkräften in Bayern finden sich bspw. hier.
Entwicklung der Absolvent:innenzahlen im Lehramt Informatik in Bayern seit 2002
Für die Diskussion um das “Henne-Ei-Problem” sowie bildungspolitische Aktivitäten im Kontext des Lehrkräftemangels in Informatik erlaubt der Fall Bayern aufgrund der vergleichsweise langen Tradition des Schulfaches spannende Einblicke. In der Ausbildung der Lehrkräfte wird hier zwischen einem vertieften Studium für das gymnasiale Lehramt (Regelstudienzeit: 9 Semester) sowie einem nicht vertieften für Real- und Mittelschulen unterschieden (Regelstudienzeit: 7 Semester). Für das Lehramt an Gymnasien werden zwei Unterrichtsfächer studiert, die möglichen Fächerkombinationen sind dabei limitiert1. Ein entsprechendes Studienangebot besteht an 6 Universitäten und endet mit dem 1. Staatsexamen. Die Prüfung kann entweder im Frühjahr oder Herbst eines Jahres abgelegt werden. Anschließend wird der Vorbereitungsdienst mit einer Dauer von 2 Jahren absolviert, der mit dem 2. Staatsexamen abgeschlossen wird.
Als Datengrundlage für diese Untersuchung wurden vom Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus die Absolvent:innenzahlen des 1. und 2. Staatsexamens der letzten 20 Jahre zur Verfügung gestellt, die insbesondere eine Unterscheidung zwischen dem grundständigen, d.h. regulären Studium, sowie der Erweiterung mit Informatik als “Drittfach” (etwa im Rahmen einer Weiterbildungsmaßnahme) ermöglichen. Zusätzlich wurde zur Kontextualisierung der Ergebnisse auf Daten des Bayerischen Landesamts für Statistik zurückgegriffen. Die folgende Auswertung beschränkt sich dabei auf das gymnasiale Lehramt.
Grundständiges Studium für das gymnasiale Lehramt Informatik
Betrachtet man zunächst die Entwicklung der Absolvent:innenzahlen des ersten Staatsexamens für das grundständige vertiefte Studium Lehramt Informatik (vgl. Abbildung 1), ist bereits ab Herbst 2006, also nur 2.5 Jahre nach Einführung des Faches, eine stetige Zunahme festzustellen. Ab Herbst 2008 (also etwa eine Regelstudienzeit nach der Einführung) ist bereits ein stabiles Niveau zwischen 10 und 20 Absolvent:innen pro Prüfungstermin erreicht, das auch seitdem weitgehend konstant gehalten wird (Mittelwert seit 2008: 30 Absolvent:innen pro Jahr). Der Ausreißer im Herbst 2016 hängt zeitlich mit dem durch den Wechsel von G9 auf G8 bedingten “doppelten Abiturjahrgang” 2011 zusammen. Dieser beinhaltet gleichzeitig die ersten Schüler:innen, die den eingeführten Informatikunterricht erhalten haben. Allerdings zeigt sich bisher kein signifikanter Effekt des Informatikunterrichts auf die absoluten Absolvent:innenzahlen im Lehramt Informatik.
Abbildung 1 - Absolvent:innen im Lehramt Informatik (1. Staatsexamen, grundständig, vertieft) in Bayern, Datengrundlage: StMUK
Allerdings relativiert sich die Entwicklung der Zahlen im Lehramt Informatik, wenn ein Vergleich mit den fachunabhängigen grundständigen Absolvent:innen des 1. Staatsexamens in Bayern vorgenommen wird (vgl. Abbildung 2). So ist ab 2014 ein deutlicher Rückgang zu verzeichnen. Die — absolut betrachtet — weitgehend konstante Entwicklung in der Informatik bedeutet daher einen relativen Anstieg:
Abbildung 2 - Absolvent:innen im gymnasialen Lehramt (1. Staatsexamen, grundständig, vertieft) in Bayern, Datengrundlage: StMUK, Bayerischen Landesamts für Statistik
Nach Abschluss des ersten Staatsexamens folgt für grundständig Studierende das zweijährige Referendariat (frühester Beginn 6 Monate nach Prüfungstermin im Herbst/Frühjahr), das mit dem zweiten Staatsexamen abgeschlossen wird. Zwar ermöglichen die Daten kein Matching der Personen, dennoch kann die Anzahl der Absolvent:innen des zweiten Staatsexamens mit denen des ersten Staatsexamens zwei Jahre zuvor verglichen werden, also etwa die Kohorte der Absolvent:innen des zweiten Staatsexamens 2020 mit der des ersten Staatsexamens im Herbst 2017 und Frühjahr 2018 (vgl. Abbildung 3). Neben Bewerber:innen außerhalb Bayerns2 nehmen zusätzlich auch Quereinsteiger:innen (im Rahmen von Sondermaßnahmen bis 20093) am Vorbereitungsdienst teil und legen das 2. Staatsexamen ab. Für die Jahre 2008 bis 2010 zeigen die Daten in Konsequenz der damaligen Möglichkeit zum Quereinstieg mehr Absolvent:innen des 2. als des 1. Staatsexamens für eine Kohorte. Für das Jahr 2008 (9 Absolvent:innen des 2. Staatsexamens) gibt es sogar überhaupt keine Absolvent:innen des 1. Staatsexamens zwei Jahre zuvor. Betrachtet man jedoch die letzten 10 Jahre (nach Auslauf der Sondermaßnahmen zum Quereinstieg aufgrund der zunehmenden Anzahl regulärer Absolvent:innen), liegt der Mittelwert bei 20 Absolvent:innen des 2. Staatsexamens. Im Vergleich zu den Absolvent:innen des 1. Staatsexamens ergibt sich damit ein Anteil von im Schnitt fast 25%, der entweder das Referendariat nicht (direkt) antritt oder dieses nicht zu Ende führt:
Abbildung 3 - Vergleich der Absolvent:innen des 2. Staatsexamens Informatik (Gymnasium) mit den Absolvent:innen des 1. Staatsexamens 2 Jahre zuvor im Lehramt Informatik (grundständig, vertieft), Datengrundlage: StMUK
Vergleicht man analog die Anzahl der grundständigen Absolvent:innen des ersten Staatsexamens mit den Studienanfänger:innen im Lehramt Informatik fünf Jahre und damit eine Regelstudienzeit zuvor4, wird ein noch wesentlich deutlicheres Missverhältnis auffällig (vgl. Abbildung 4). So stehen den in den letzten 12 Jahren mit Ausnahme des “Doppeljahrgangs” weitgehend konstanten und im Schnitt knapp unter 90 Studienanfänger:innen pro Jahr im Lehramt Informatik lediglich etwa 40 Absolvent:innen des 1. Staatsexamens fünf Jahre später gegenüber, — ohne dass hier individuelle Studienverläufe untersucht werden können. Die damit anzunehmende Abbruchquote von etwa 55% liegt deutlich über der für das fachunabhängige Lehramtsstudium (etwa 15%), aber auch über der für den Bachelor Informatik (etwa 45%):
Abbildung 4 - Vergleich der Absolvent:innen des 1. Staatsexamens in Informatik mit den Studienanfänger:innen 5 Jahre zuvor im Lehramt Informatik (grundständig, alle Schulformen), Datengrundlage: StMUK, Stifterverband
Erweiterungsstudium für das gymnasiale Lehramt Informatik
Neben dem “regulären” Studium besteht auch die Möglichkeit, das Lehramtsstudium einer Fächerverbindung um das Fach Informatik zu erweitern (“Drittfach”). Hierfür muss gemäß der Lehramtsprüfungsordnung des Landes Bayern (LPO I) kein vollständiges Fachstudium absolviert werden, sondern lediglich “mindestens 10 Leistungspunkte aus dem Gebiet der Technischen Informatik” erworben sowie “die erfolgreiche Teilnahme an einem Praktikum zur planmäßigen Entwicklung eines größeren Softwaresystems” nachgewiesen und dann das reguläre 1. Staatsexamen5 in Informatik erfolgreich abgelegt werden. Diese Erweiterung findet damit sowohl im Rahmen der dargestellten umfangreichen berufsbegleitenden Weiterbildungsmaßnahmen Anwendung als auch für Studierende, die ihr Staatsexamen in zwei anderen Unterrichtsfächern mit Informatik erweitern — etwa zur Erhöhung der Einstellungschancen. Im Falle einer nachträglichen Erweiterung (nach bereits abgelegtem 2. Staatsexamen in der ursprünglichen Fächerkombination) wird kein Vorbereitungsdienst abgeleistet.
Betrachtet man den zeitlichen Verlauf der Absolvent:innen eines solchen Erweiterungsstudiums (vgl. Abbildung 5), zeigt sich der Effekt der Weiterbildungsmaßnahmen, wie der SIGNAL-Maßnahme flankierend zur Einführung des Faches zwischen 2002 und 2006 oder der aktuellen Nachqualifikationsmaßnahme im Kontext der Lehrplanreform. Auch im Zeitraum zwischen diesen groß angelegten koordinierten Maßnahmen gibt es einen geringen, aber weitgehend konstanten Anteil an Absolvent:innen, die entweder als Lehrkraft im Rahmen der FLIEG-Maßnahme im eigenen Tempo und ohne Anrechnungsstunden parallel zur Berufstätigkeit oder aber im Vollzeitstudium, etwa zur Verbesserung der Einstellungschancen, das Erweiterungsstudium absolviert hat.
Abbildung 5 - Absolvent:innen im Lehramt Informatik (1. Staatsexamen, vertieft) in Bayern, Datengrundlage: StMUK
Die Daten zeigen, dass die deutliche Mehrheit der in den letzten 20 Jahren über das 1. Staatsexamen qualifizierten Gymnasiallehrkräfte ihre Lehrbefähigung Informatik auf dem Weg des Erweiterungsstudiums, insbesondere im Rahmen koordinierter Weiterbildungsmaßnahmen erworben hat. War vor der aktuellen Nachqualifikationsmaßnahme beinahe ein 50:50 Verhältnis erreicht, sind nun zwischen Frühjahr 2002 und Herbst 2022 in der grundständigen Variante 444 Absolvent:innen zu verzeichnen, denen 668 Absolvent:innen der Erweiterung gegenüberstehen. Dies unterstreicht die Bedeutung umfangreicher, qualitativ hochwertiger Weiterbildungsmaßnahmen für die Abdeckung des Informatikunterrichts.
Für das 1. Staatsexamen im Lehramt Informatik zeigt die Auswertung der vorliegenden Daten, dass die Durchfallquote bei etwa 6% liegt — und keine Unterschiede zwischen Erweiterungsstudium und grundständigem Studium festzustellen sind. Die eigentliche Examensprüfung in Informatik stellt also keine relevante Ursache für weiteren “Dropout” dar. Weiterhin haben auch die Nachqualifikationsmaßnahmen zunächst fachfremden Lehrkräften in der typischen Maßnahmendauer von 2 Jahren erfolgreich die dafür notwendigen vorwiegend fachlichen Kompetenzen vermittelt.
Ein Vergleich mit weiteren Bundesländern, Details zur Situation informatischer Bildung in Bayern inkl. der Weiterbildungsmaßnahmen sowie Implikationen dieser Auswertung finden sich im zugehörigen INFOS23-Beitrag.
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Für das Lehramt an Gymnasien kann Informatik aktuell mit Mathematik, Physik, Wirtschaftswissenschaften, Biologie, Chemie oder Englisch kombiniert werden, siehe LPO.
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sowie potentiell bestimmte Studierende des Erweiterungsstudiums, siehe unten.
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Auch seit 2022 gibt es wieder eine Sondermaßnahme zum Quereinstieg, in der 10 Plätze für Bewerber:innen zu vergeben sind.
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Aufgrund der Datenlage hier sowohl Absolvent:innen als Studienanfänger:innen für das Lehramt Informatik aller Schulformen; Daten zu den Studienanfänger:innen liegen bis 2010 vor, dies erlaubt einen Vergleich mit den Absolvent:innen des 1. Staatsexamens bis 2015.
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Prüfungsbestandteile: Algorithmen und Datenstrukturen, Theoretische Informatik, Softwaretechnik, Datenbanken, Fachdidaktik, siehe LPO
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